Experten: Reichweite von E-Autos "absolut praxistauglich"

Forscher erwarten, dass die Reichweite von Elektrofahrzeugen 2030 bis zu 800 Kilometer betragen wird. Sehr kurze Ladezeiten sind demnach dann ebenfalls möglich.

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Ein Elektro-Auto wird zuhause an einer Wallbox geladen.

(Bild: husjur02/Shutterstock.com)

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Deutsche Wissenschaftler gehen zunehmend davon aus, dass sich die Elektromobilität hierzulande durchsetzt und das Festhalten am Verbrennungsmotor mithilfe der aktuell vor allem von Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP) verfochtenen E-Fuels nicht sinnvoll ist. "Die Reichweite von Elektroautos ist heute absolut praxistauglich und stellt im Alltag keine Einschränkung dar", erklärte etwa Martin Doppelbauer, Professor für hybridelektrische Fahrzeuge am Karlsruher Institut für Technologie (KIT), im Rahmen einer Umfrage des Science Media Center (SMC).

Typische Stadtautos mit einer Kapazität zwischen 50 und 60 Kilowattstunden (kWh) können laut Doppelbauer im Winter bereits bis zu 250 Kilometer mit einer Ladung zurücklegen. Gängige Familienautos mit Kapazitäten um 70 bis 90 kWh taugten im Winter für bis zu 350 Kilometer, im Sommer für deutlich mehr. Die jahrelang im Vordergrund der Debatte stehende Reichweitenangst dürfte sich so erledigt haben. Der Wissenschaftler begrüßt zugleich "ausdrücklich den Vorstoß der EU, ab 2035 keine Pkw mit Verbrennungsmotoren mehr zuzulassen".

Seit über zehn Jahren liege der reale Durchschnittsverbrauch von Autos in Deutschland konstant bei rund sieben bis acht Litern auf 100 Kilometer, begründet Doppelbauer seine Linie. Technologische Weiterentwicklungen wie Hybridantriebe änderten daran "offensichtlich nichts mehr". Die einzige massenmarkttaugliche Alternative zum Verbrenner seien daher batterieelektrische Fahrzeuge, "von denen inzwischen weltweit weit über zehn Millionen Exemplare fahren".

E-Fuels, die unter hohem Energieeinsatz mithilfe von Strom aus Wasser und Kohlendioxid produziert werden, bleiben Doppelbauer zufolge "auch langfristig aufgrund des enormen Herstellungsaufwands viel zu teuer". Sie könnten nicht für den effizienten Betrieb vieler Millionen Fahrzeuge bereitgestellt werden. Der enorme Herstellungsaufwand verursache auch den "großen CO₂-Rucksack von E-Fuels", weshalb sie immer eine deutlich schlechtere Umweltbilanz als Elektroautos hätten: Von Null-Emissionen könne hier "auch in der Gesamtbilanz überhaupt keine Rede sein". Dazu kämen die lokalen Emissionen in den Städten, die mit synthetischen Kraftstoffen nicht weniger würden.

Aktuelle Umfragen etwa von Deloitte, der Technikakademie Acatech oder der Deutschen Automobil-Treuhand legen nahe, dass private Autokäufer E-Autos trotz vielfach anerkannter Potenziale noch eher reserviert gegenüberstehen. Die Befragten führen als Kritikpunkte vor allem ins Feld, die batteriebetriebenen Fahrzeuge seien zu teuer, das Laden sei zu umständlich. Zudem bestehen Zweifel an der Umweltfreundlichkeit der E-Mobilität.

Prinzipiell gebe es mittlerweile für jeden Nutzer "aus technischer Sicht ein Angebot, das zusammen mit der Ultraschnellladetechnik die Reichweitenprobleme löst", hält Dirk Uwe Sauer, Professor für Elektrochemische Energiewandlung und Speichersystemtechnik an der RWTH Aachen, dem entgegen. Das Problem sei der Preis der Fahrzeuge, räumt er aber ein. Es gebe noch kein großes Angebot in der Kompakt- und Mittelklasse mit hohen Reichweiten, das unter Berücksichtigung der Förderung vergleichbar mit konventionellen Autos sei. Es sei aber fraglich, wie viele der Fahrzeuge in diesen Klassen über große Distanzen gefahren werden. Hier könne das Leihen eines Pkws mit größerer Reichweite für ein- oder zweimalige Anwendungsfälle im Jahr durchaus attraktiv sein.

Wie Doppelbauer geht Sauer von einem Zuwachs an Reichweite in den kommenden Jahren aus: 800 Kilometer mit einer Batterie von 100 kWh hält er bis Ende des Jahrzehnts für durchaus möglich. Die Hersteller sollten ihm zufolge dabei vor allem auf "Energieeffizienz auf allen Ebenen" setzen, weniger auf den nicht ressourcenschonenden Ausbau der Batteriekapazität. Bei Oberklassefahrzeugen werde oft schon die 350 kW-Ladetechnik genutzt. Dabei werde in etwa drei Minuten die Energie für rund 100 Kilometer Reichweite nachgeladen. Da sich Batterien in der Geschwindigkeit nicht vollständig aufladen lassen, würde das etwa alle 300 Kilometer einen Nachladestopp von 10 Minuten bedeuten. Bei höherer Effizienz verkürze sich die Nachladedauer für 100 Kilometer bei gleicher Ladeleistung auf vielleicht zwei Minuten. Das stelle "keine große Einschränkung der Mobilität gegenüber den bekannten Verbrennungsmotoren" dar.

Beim Ausbau des Ladestellennetzes agierten Politik und Wirtschaft aber "halbherzig", kritisiert Sauer. Es müsse "endlich klar durchdringen, dass die Elektrofahrzeuge kommen und gerade an den Autobahnen müssen neue sehr leistungsstarke Anschlüsse gelegt werden", die dann auch auf Lkw ausgerichtet seien. Rechtlich sollten gerade für Mieter die Rahmenbedingungen geschaffen werden, damit "im Bereich der Wohnbebauung Ladestellen flächendeckend möglich werden".

"Aktuell reicht die in Deutschland verfügbare Ladeinfrastruktur für die heute zugelassenen Elektrofahrzeuge aus", meint Thorsten Koska, Co-Leiter des Forschungsbereichs Mobilität und Verkehrspolitik beim Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie. Allerdings sei für das Erreichen des Flottenziels von 15 Millionen E-Fahrzeugen bis 2030 ein deutlich beschleunigter Ausbau nötig. Auch er legt einen Fokus auf den privaten Bereich: "Das Laden zu Hause oder auf der Arbeit ist deutlich preisgünstiger realisierbar und kann so die Elektromobilität attraktiver machen". Zudem seien hier Synergien mit selbsterzeugtem Photovoltaik-Strom realisierbar.

Es kämen verstärkt E-Autos für die Kurzstrecke und Stadtfahrten mit kleineren Batterien und etwas geringeren Reichweiten zu deutlich günstigeren Preisen auf den Markt, betont Jens Tübke, Hauptabteilungsleiter Angewandte Elektrochemie beim Fraunhofer-Institut für Chemische Technologie. Diese bedienten ein Segment, "in dem sich Elektromobilität sehr schnell rentiert". Dies spare auch wertvolle Materialressourcen in der Batterieherstellung und reduziere das Fahrzeuggewicht.

Entwarnung bei der Ressourcennutzung gibt Hinrich Helms, Themenleiter E-Mobilität beim Institut für Energie- und Umweltforschung Heidelberg (ifeu): Eine steigende Anzahl an Neuzulassungen von Elektro-Pkw führe zu einer höheren Nachfrage insbesondere nach Kupfer, Nickel, Kobalt und Lithium. Mehrere Studien zeigten aber, dass diese Rohstoffe "prinzipiell auch für ein weltweites Wachstum der Elektromobilität ausreichend vorhanden sind". Die weltweiten Vorkommen überstiegen den prognostizierten Bedarf jeweils deutlich.

(dwi)